Irgendwie kann man von seinem Alltag doch nicht weglaufen. Nicht mal, wenn man zur Berlinale fährt und dabei erhofft, das soziale Bewusstsein runterzudrehen, sich für ein paar Tage zurückzuziehen und ein wenig Zeit etwas Schönem wie der Kinematographie zu schenken.
Während 2016 an der Berlinale schöne romantische Filme über die zwischenmenschlichen Beziehungen und existentielle Gedanken um den Goldenen Bären gekämpft haben, gewann trotzdem die Doku über die Flüchtlinge und die Lampedusa-Insel. Dieses Jahr war die Gegenwart noch präsenter.
Der Opening-Film Django vom französischen Regisseur Etienne Comar, der auch im Rennen um den Hauptpreis ist, erzählt die Geschichte des Musiker und Komponisten Django Reinhardt’s – eines Sinti im Jahre 1943 im besetzten Frankreich. Wohlstand und Armut, Liebe und Freundschaft, Verfolgung und Manipulation, Angst und Mut verschlingen sich während des Werdegangs einer einzelner Person.
Der andere Kandidat für die größte Auszeichnung ist das Sozialdrama „The Dinner“ mit Richard Gere, Laura Linney und Steve Coogan in Hauptrollen. Ein Punkt für den Ressiseur Oren Moverman für die gelungene „Benutzerführung“ durch den Film – nichts ist das, was es zu sein scheint und das macht den Film großartig. Trotz aller Ähnlichkeiten ist „The Dinner“ doch nicht eine Nachmache von „Gott des Gemetzels“, wie es einige denken können.
Die emotionalste Vorstellung hat jedoch die Doku von Askold Kurov beschert. „The Trial: The State of Russia vs. Oleg Sentsov“ zeigt den Prozess gegen den ukrainischen, aus der Krim stammenden Regisseur Oleg Sentsov. Nicht nur die furchtbaren Aufnahmen des sogenannten „Gerichtsprozesses“ erschlagen, sondern auch die unglaubliche Unterstützung der Öffentlichkeit und der European Film Academy. Nach der Filmvorstellung gab es eine kurze Podiumsdiskussion, an der auch die Cousine des widerrechtlich verhafteten Regisseurs sowie sein Anwalt teilnahmen. Wie grausam und hoffnungslos die fabrizierte Akte aussieht, so hoffnungsvoll und ermunternd die öffentliche Aufmerksamkeit. Denn die Geschichte von Oleg Sentsov ist nur eine aus den anderen Tausenden der zerstörten Leben in der Ukraine durch die Annexion der Krim und den Donbas-Krieg. Es bleibt nur die Hoffnung, dass Oleg alles durchsteht und früher, als in 20 Jahren aus der Haft entlassen wird.
Der letzte Film aus meiner diesjährigen „Gesehen“-Liste ist „Es war einmal in Deutschland“, der im Rahmen von Berlinale Special gezeigt wird. In der Tragikomödie (!) vom Regisseur Sam Garbarsky wird das Leben der jüdischen Kaufmänner im Jahre 1946 in Frankfurt gezeigt. Moritz Bleibtreu überzeugt in der Rolle des Kaufmanns David Bergmann, dessen Familie in Auschwitz ums Leben kann und der selbst knapp dem Tod in KZ entgehen konnte. Das Thema des Films ist alles andere als lustig, trotzdem ist es sowohl dem Regisseur, als auch den Schauspielern gelungen, einen echt schönen, unterhaltsamen und warmen Film mit dem richtigen Tiefgang zu schaffen.
Der kleine Ausschnitt aus dem 1. Berlinale-Wochenende war, lässt ein großes Fazit machen: Die Kunst ist tatsächlich der Spiegel der Gegenwart. Gesellschaftliche, politische, moralische Themen prägen moderne Kinematographie und ich hoffe nur, dass diese Prägung, getragen in die Massen, die richtigen Impulse in den Menschenköpfen setzt.